Wissenschaftliche Arbeit, im Jahr 1995, Institut für Theaterwissenschaft, FU Berlin
Was ist ein Autor?
Von Oliver Klatt
Inhalt
1. Zum Begriff Autor: Synonyme, Herkunft, Entwicklung
2. Der Autor im Mittelpunkt
Exkurs: „La Politique des Auteurs“
3. Das Verschwinden des Autors
4. Après tout: Versuch einer Definition
1. Zum Begriff Autor: Synonyme, Herkunft, Entwicklung
Schaut man in einem Synonyme-Lexikon unter dem Stichwort Autor nach(1), dann finden sich u. a. folgende Begriffe:
Erzeuger, Urheber, Schöpfer, Erschaffer, Initiator, Verfasser
Dabei lassen sich zwei Grundrichtungen erkennen: Bei der einen liegt der Hauptakzent darauf, dass der Autor etwas initiiert, dass er den Anstoß gibt zu etwas (Initiator, Urheber etc.). Bei der anderen Richtung liegt der Akzent vor allem darauf, dass der Autor etwas erzeugt, dass er eine Quelle ist, aus der etwas strömt (Erzeuger, Erschaffer, Schöpfer etc.).
Schlägt man im Herkunftswörterbuch des Dudens unter dem Stichwort Autor nach, so findet sich dort u. a. folgende Passage:
„Das seit dem 15. Jahrhundert zunächst als ‚auctor‘ bezeugte Fremdwort geht auf lat.: auctor ‚Urheber, Schöpfer, Autor‘ zurück, das wörtlich etwa ‚Mehrerer, Förderer‘ bedeutet. Stammwort ist lat.: augere (auctum) ‚wachsen machen, mehren, fördern, vergrößern, erhöhen, verherrlichen‘.“(2)
Folgt man dieser Bedeutung des Begriffs Autor, so geht es hier weder um das „Initiieren“ noch um das „Erzeugen“ von etwas, sondern vielmehr um das „Mehren“, das „Fördern“ von etwas, das bereits vorhanden ist.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, einen Ausschnitt aus der Rede Michel Foucaults in der Französischen Gesellschaft für Philosophie zu betrachten. Darin macht er auf die Umkehrung der „Funktion Autor“ im 17. bzw. 18. Jahrhundert aufmerksam:
„Es gab eine Zeit, in der die Texte, die wir heute ‚literarisch‘ nennen (Berichte, Erzählungen, Epen, Tragödien, Komödien) aufgenommen, verbreitet und gewertet wurden, ohne dass sich die Autorfrage stellte; ihre Anonymität machte keine Schwierigkeit, ihr echtes oder vermutetes Alter war für sie Garantie genug. Im Gegensatz dazu wurden die Texte, die wir heute wissenschaftlich nennen, über die Kosmologie und den Himmel, die Medizin und die Krankheiten, die Naturwissenschaften oder die Geographie im Mittelalter nur akzeptiert und hatten nur dann Wahrheitswert, wenn sie durch den Namen des Autors gekennzeichnet waren. ‚Hyppokrates sagte‘, ‚Plinius erzählt‘ waren nicht nur die Formeln eines Autoritätsverweises, sondern die Indizien für Diskurse, die als bewiesen angenommen werden sollten. Zu einer Umkehrung kam es im 17. oder 18. Jahrhundert; man begann wissenschaftliche Texte um ihrer selbst willen zu akzeptieren, in der Anonymität einer feststehenden oder immer neu beweisbaren Wahrheit; ihre Zugehörigkeit zu einem systematischen Ganzen sicherte sie ab, nicht der Rückverweis auf die Person, die sie geschaffen hatte. Die Funktion Autor verwischt sich, der Name des Erfinders dient höchstens noch dazu, einem Theorem, einem Satz, einem bemerkenswerten Effekt, einer Eigenschaft, einem Körper, einer Menge von Elementen, einem Krankheitssyndrom einen Namen zu geben. Aber ‚literarische‘ Diskurse können nur noch rezipiert werden, wenn sie mit der Funktion Autor versehen sind: jeden Poesie- oder Fiktionstext befragt man danach, woher er kommt, wer ihn geschrieben hat, zu welchem Zeitpunkt, unter welchen Umständen oder nach welchem Entwurf. Die Bedeutung, die man ihm zugesteht, und der Status oder der Wert, den man ihm beimisst, hängen davon ab, wie man diese Fragen beantwortet. Und wenn infolge eines Missgeschicks oder des ausdrücklichen Autorwillens uns der Text anonym erreicht, spielt man sofort das Spiel der Autorsuche. Literarische Anonymität ist uns unerträglich; wir akzeptieren sie nur als Rätsel. Die Funktion Autor hat heutzutage ihren vollen Spielraum in den literarischen Werken.“(3)
Nun liegt die Überlegung nahe, dass solange, wie die „Funktion Autor“ ihre Bedeutung insbesondere auf dem Gebiet hatte, das wir heute wissenschaftlich nennen, noch die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs Autor, wie wir sie im Herkunftswörterbuch des Dudens (s. o.) nachlesen können (nämlich: Mehrer, Förderer) die zutreffendere war – und im übrigen auch viel besser zu einem Gebiet wie der Wissenschaft passt, wo ja das, worum es geht, bereits vorhanden ist und gewissermaßen entblättert wird und damit zugänglich für alle –, während daraufhin, im Zuge der immer größer werdenden Bedeutung der „Funktion Autor“ bezüglich literarischer Werke sich auch die Bedeutung des Begriffs Autor verändert hat, mehr hin zu den aus dem Synonyme-Wörterbuch zitierten Begriffen wie „Initiator, Erzeuger, Verfasser“, die ja im übrigen der weit verbreiteten, wohl der Epoche der Romantik entstammenden Auffassung(4) entsprechen, der Autor sei weniger eine Art Hersteller, der arbeitsreich und voller Mühen sein Werk aus bereits bestehenden Teilen gewissermaßen zusammensetzt, sondern vielmehr der ursprüngliche Schöpfer seines Werkes, der Genius, der durch den göttlichen Funken in sich selbst etwas völlig Großartiges und Neues schafft.
2. Der Autor im Mittelpunkt
„Truffaut defines a true film auteur as one who brings something genuinely personal to his subject instead of merely producing a tasteful, accurate but lifeless rendering of the original material. Examples of true auteurs are Bresson and Renoir. Instead of merely transferring someone else`s work faithfully and self-effancingly, the auteur transforms the material into an expression of his own personality.“(5)
So beschreibt Edward Buscombe in seinem Aufsatz „Ideas of Authorship“ mit den Worten Truffauts die Vorgehensweise eines „Auteurs“, der das ihm vorliegende Material eben nicht nur transferiert/übertragt/übermittelt, sondern es regelrecht transformiert/umwandelt/umformt in einen Ausdruck seiner eigenen Persönlichkeit.
Zwei weitere Zitate, die den Begriff Autor, wie ich denke, sehr treffend auf den Punkt bringen, finden sich im „Lexikon Film“ von Ulrich Kurowski:
„Astruc über Hitchcock: ‚Wenn ein Mann über dreißig Jahre hin und durch fünfzig Filme hindurch mit geringen Abweichungen immer dieselbe Geschichte erzählt (...) und über diese lange, einzigartige Linie seines Schaffens hin den gleichen Stil (...) beherrscht; wenn ein Mann diese Voraussetzungen erfüllt, dann scheint es schwierig, für einmal nicht zuzugeben, dass man vor einem Künstler steht, wie er in dieser Industrie sehr selten geworden ist: vor einem wahren Filmautor.“(6)
„Rückblickend Edgar Reitz: ‚Man versteht ... (unter Autorenfilm) eine Filmgattung, die sich im kulturellen Leben der Gesellschaft ansiedelt und die ähnlich zustande kommt wie die klassischen Künste Malerei, Musik oder Literatur: ein Autor-Regisseur trägt die volle künstlerische Verantwortung für den Film. Er erfindet und realisiert seinen Film als schöpferisches Einzelindividuum.‘ “(7)
Des weiteren sei hier noch ein Zitat von Andre Bazin angeführt, der in seinem Aufsatz "La Politique des Auteurs" an einer Stelle mit einfachen, klaren Worten die Vorgehensweise eines Auteurs beschreibt und schließlich ein Zitat von Jaques Rivette bringt, das so treffend wie präzise ist:
„The auteur is always his own subject matter; whatever the scenario, he always tells the same story, or, in case the word ‚story‘ is confusing, let‘s say he has the same attitude and passes the same moral judgments on the action and on the characters. Jacques Rivette has said that an auteur is someone who speaks in the first person. It`s a good definition; let`s adopt it.“(8)
Ein Autor ist demzufolge jemand, der „in der ersten Person spricht“. Eine gute Definition; übernehmen wir sie. Denn vielleicht ist in diesem einen Satz die Essenz all dessen enthalten, worum es im Schaffen eines Autors tatsächlich geht – und zwar sowohl ihm als auch denen, die seine Werke schätzen.
Exkurs: La Politique des Auteurs
„The politique des auteurs consists, in short, of choosing the personal factor in artistic creation as a standard of reference, and then of assuming that it continues and even progresses from one film to the next.“(9)
So bringt André Bazin die Politique des Auteurs in dem bereits oben erwähnten Aufsatz auf den Punkt.
Eine weitere Definition der Politique des Auteurs, die neben einer Kurzbeschreibung derer Inhalte auch auf den filmgeschichtlichen Zusammenhang verweist, findet sich in "Film verstehen" von James Monaco:
„Politique des Auteurs: Von den Kritikern der Cahiers du Cinéma entwickelter Ansatz, Filme vorwiegend als Werke eines individuellen Autors (...), vornehmlich des Regisseurs, zu verstehen, der seine persönliche Weltsicht trotz der Spannungen zwischen Stil, Thema und Produktionsbedingungen durchsetzt. Die ‚Autorentheorie‘ (so der übliche, doch missverständliche deutsche Ausdruck) führte zu einer Neubewertung der Hollywood-Regisseure.“(10)
Auf ein Problem im Zusammenhang mit dieser Sichtweise macht Edward Buscombe in seinem bereits oben genannten Aufsatz „Ideas of Authorship“ aufmerksam und zieht einen Vergleich zur Literaturtheorie der Romantik:
„One expression (...) which seems particularly indebted to Romantic artistic theory is that of Rivette in issue no 126: ‚Un cinéaste, qui a fait dans le passé de trés grands films, peut faire des erreurs, mais les erreurs qu`il fera ont toutes chances, a priori, d`être plus passionantes que les réussites d`un confectionneur.‘ What seems to lie behind such a statement is the notion of the ‚divine spark‘ which separates off the artist from ordinary mortals, which divides the genius from the journeyman. All the articles by Truffaut, Bazin and Rivette from which I have quoted share this belief in the absolute distinction between auteur and metteur en scène, between cinéaste and ‚confectionneur‘, and characterise it in terms of the difference between the auteur‘s ability to make a film truly his own, in a kind of original, and the metteur en scène‘s inability to disguise the fact that the origin of his film lies somewhere else. When this is compared with a statement from early Romantic literary theory, it is easy enough to see the derivation of this distinction: ‚An Original may be said to be of a vegetable nature; it rises spontaneously from the vital root of genius; it grows, it is not made. Imitations are often a sort of manufacture, wrought up by those mechanics, art and labour, out of pre-existent materials not their own.‘ “(11)
Der Vergleich, den Buscombe hier zieht, scheint mir treffend zu sein; tatsächlich ist eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Inhalt des von ihm angeführten Zitats bezüglich der Literaturtheorie der Romantik und der Grundtendenz der Politique des Auteurs zu bemerken. Problematisch wird diese jedoch m. E. erst, wenn sie zu so überzogenen Aussagen führt, wie zu der von Jacques Rivette (die Buscombe zu Anfang des oben angeführten Ausschnitts zitiert), in der dieser die Meinung vertritt, dass selbst die Irrtümer/fehlerhaften Filme eines Auteurs a priori alle Chancen haben, interessanter/bewegender zu sein als die Erfolge/gelungenen Filme eines Confectionneurs. So schreibt denn Buscombe auch eine Seite weiter:
„This tendency in Cahiers to make a totem of the personality of the auteur went to such extremes that every now and again the editors felt the need to redress the balance. André Bazin, writing in issue no 70, introduces a different perspective: ‚The evolution of Western art towards greater personalisation should definitely be considered as a step forward, but only so long as this individualisation remains only a final perfection and does not claim to define culture. At this point, we should remember this irrefutable commonplace we learnt at school: the individual transcends society, but society is also and above all within him. So there can be no definitve criticism of genius or talent which does not first take into consideration the social determinism, the historical combination of circumstances, and the technical background which to a large extent determines it.“(12)
Bazin macht hier darauf aufmerksam, dass natürlich jedes Individuum – so auch der Auteur – sich innerhalb eines Netzes sozialer Beschränkungen, historischer Zusammenhänge sowie technischer Umstände befindet und insofern seine Werke nicht völlig losgelöst von eben diesem Netz zu betrachten sind. So relativiert Bazin nun zwar, was zuvor bereits zur Genüge überzogen worden war, ohne jedoch grundsätzlich an der Essenz der Politique des Auteurs zu rütteln. Dies taten dann in der Folgezeit andere für ihn.
3. Das Verschwinden des Autors
„The Author, when believed in, is always conceived of as the past of his own book: book and author stand automatically on a single line divided into a before and an after. The Author is thought to nourish the book, which is to say that he exists before it, thinks, suffers, lives for it, is in the same relation of antecedence to his work as a father to his child. In complete contrast, the modern scriptor is born simultaneously with the text, is in no way equipped with a being preceding or exceeding the writing, is not the subject with the book as predicate; there is no other time than that of the enunciation and every text is eternally written here and now. The fact is (or, it follows) that writing can no longer designate an operation of recording, notation, representation, ‚depiction‘ (as the Classics would say); rather, it designates exactly what linguists, referring to Oxford philosophy, call a performative, a rare verbal forme (exclusively given in the first person and in the present tense) in which the enunciation has no other content (contains no other proposition) than the act by which it is uttered – something like the I declare of kings or the I sing of very ancient poets.“(13)
Ein schöner bildhafter Vergleich, den Roland Barthes hier in seinem Aufsatz "The death of the author" zieht. Der moderne Schreiber, völlig im Hier-und-Jetzt aufgehend, vergangenheits- und zukunftslos. Interessant jedoch auch der Hinweis auf „what linguists (...) call a performative, a rare verbal form (exclusively given in the first person).“
War bei Bazin und Rivette das „Sprechen in der ersten Person“ noch ein eindeutiges Erkennungsmerkmal für den Auteur, so ordnet Barthes dies vielmehr dem modernen Schreiber zu, der sich ja, laut Barthes, eben gerade nicht mehr als Autor versteht.
Einen anderen Aspekt bezüglich der Problematik um das Verschwinden (oder das Nicht-vorhanden-sein?) des Autors beleuchtet Stephen Heath in seinem "Comment on The Idea of Authorship":
„Not all discourse has an author; nor do we demand it, surrounded as we are in our everyday living by a whole tissue of discourse to the varying interweaving strands of which we would not even know how to begin to pose the demands of authorship. These demands are, indeed, limited in relation to film; leaving aside the mass of material presented by television, think merely in this respect of the range of documentary, educational, medical, newsreel works for which only exceptionally do we bring into play any notion of the author. Even within the very area of the book (to which the assumptions and models of authorship are so closely connected), similar kinds of limitation can be seen to apply. Many scientists, for example, produce books; only a very few (a Heisenberg or a Bronowski), however, achieve the accepted status of an author: the validity of science, in fact, is that it is assumed as being without author.“(14)
Interessant erscheint mir hier der Hinweis auf wissenschaftliche Texte, den ja auch Foucault in dem eingangs angeführten Zitat benutzt, um zu verdeutlichen, wie gut man auch ohne einen Autor auskommt.
Etwas weiter schreibt Heath, die Vorschläge Buscombes, die dieser bezüglich der Art und Weise, fortan Filmwissenschaft zu betreiben, in seinem Aufsatz "The Idea of Authorship" angeführt hatte, zusammenfassend, im gleichen Aufsatz:
„Edward Buscombe proposes other ways of looking at the cinema: ‚(a) the examination of the effects of the cinema on society (mass media research, etc); (b) the effects of society on the cinema (the influence of ideology, of economics, of history, etc); (c) a sub-division of (b), the effects of films on other films‘.“(15)
Ein interessanter Ansatz, wie ich finde, der lediglich in der konkreten Durchführung sehr zeitaufwendig sein dürfte, jedoch mit der Zeit immer bedeutsamer werden könnte.
Abschließend sei hier nun noch ein weiteres Zitat von Foucault angeführt, der gewissermaßen einen Ausblick auf eine mögliche Zukunft gibt, in der der Autor längst nicht mehr die Bedeutung haben wird, die er bis dato (bzw. zum Zeitpunkt der Rede Foucaults, d. h. 1969) hatte:
„Der Autor – oder das, was ich als Funktion Autor zu beschreiben versuchte – ist wohl nur eine der möglichen Spezifikationen der Funktion Stoff. Mögliche oder nötige Spezifikationen? Betrachtet man die Wandlungen, zu denen es im Laufe der Geschichte gekommen ist, so muss die Funktion Autor keineswegs konstant in ihrer Form, in ihrer Komplexität oder gar in ihrem Vorhandensein bleiben – ganz im Gegenteil. Man kann sich eine Kultur vorstellen, in der Diskurse verbreitet oder rezipiert würden, ohne dass die Funktion Autor jemals erschiene. Ganz gleich welchen Status, welche Form oder welchen Wert ein Diskurs hätte und welche Behandlung man ihm angedeihen ließe, alle würden sich in der Namenlosigkeit des Gemurmels entrollen. Folgende so lange wiedergekäute Fragen würde man nicht mehr hören: ‚Wer hat eigentlich gesprochen? Ist das auch er und kein anderer? Mit welcher Authentizität oder welcher Originalität? Und was hat er vom Tiefsten seiner selbst in seiner Rede ausgedrückt?‘ Dafür wird man andere hören: ‚Welche Existenzbedingungen hat dieser Diskurs? Von woher kommt er? Wie kann er sich verbreiten, wer kann ihn sich aneignen? Wie sind die Stellen für mögliche Stoffe verteilt?‘ Und hinter all diesen Fragen würde man kaum mehr als das gleichgültige Geräusch hören: ‚Wen kümmert`s, wer spricht?‘ “(16)
4. Après tout: Versuch einer Definition
Um nunmehr trotz alledem zu einer Art (Auf)Lösung zu gelangen und den Versuch zu wagen, die Frage „Was ist ein Autor?“ in einer annähernd befriedigenden und die in dieser Arbeit dargestellten Sichtweisen miteinbeziehenden Art und Weise zu beantworten, möche ich ein Zitat von Serge Daney vorschlagen, mit dem dieser sein Vorwort zu der 1984 erschienenen Ausgabe des Buches „La Politique des Auteurs“ beendet:
„Puisqu`il est question ici, (...), il est possible de hasarder une hypothèse. La voici. Dans un art aussi impur que le cinéma, fait par beaucoup de gens et fait de beaucoup de choses hétérogènes, soumis à la ratification du public, n`est il pas raisonnable de penser qu`il n y a d`auteur – c`est-à-dire de singularité – que par rapport á un système – c`est-à-dire á une norme? L`auteur ne serait pas seulement celui qui trouve la force de s`exprimer envers et contre tous mais celui qui, en s`exprimant, trouve la bonne distance pour dire la vérité du système auquel il s`arrache. (...) Les films d`auteurs nous renseigneraient mieux sur le devenir du système qui les a produits que les produits aveugles du système lui-même. L`auteur serait, à la limite, la ligne de fuite par laquelle le système n`est pas clos, respire, a une histoire.“(17)
Ein Autor wäre demnach nicht mehr nur derjenige, der die Kraft findet, sich allen gegenüber zu behaupten und seinen eigenen Ausdruck durchzusetzen, sondern vielmehr derjenige, der durch seinen eigenen Ausdruck die richtige Distanz findet, um die Wahrheit über das System zu sagen, aus dem er sich selbst herauszieht, dem er sich ent - reißt.
Der Autor als Fluchtlinie, durch die das System nicht völlig abgeschlossen ist, sondern atmet und eine Geschichte hat.
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Quellenangaben
1 - Sag es treffender, A.M. Textor, Hamburg 1968, S. 76
2 - Duden - Das Herkunftswörterbuch, Band 7, Mannheim/Wien/Zürich 1963, S. 43
3 - Was ist ein Autor? in: Schriften zur Literatur, Michel Foucault, Frankfurt am Main 1993, S. 18f
4 - Hierzu: Zitat von Raymond Williams, Culture and Society 1780-1950, Penguin 1961, p. 54 in: Ideas of Authorship, Edward Buscombe in: Screen, Vol 14, no. 3, p. 77
5 - Ideas of Authorship, Edward Buscombe in: Screen, Vol 14, no. 3, p. 76
6 - Lexikon Film, Ulrich Kurowski, München 1973, S. 15
7 - s.o.
8 - Extract from André Bazin, "La politique des auteurs", Cahiers du Cinéma, no. 70, April 1957 in: Theories of Authorship, John Caughie (Hrsg.), London 1981, p. 44f
9 - s.o.
10 - Film verstehen, James Monaco, Hamburg 1980, S. 403
11 - Ideas of Authorship, p. 77
12 - s.o., p.78
13 - The death of the author, Roland Barthes, from: Image Music Text, London 1977, first published Paris 1968 in: Theories of Authorship, John Caughie (Hrsg.), London 1981, p. 210f
14 - Comment on The Idea of Authorship, Stephen Heath in: Screen, Vol 14, no. 3, p. 86
15 - s.o., p.88
16 - Was ist ein Autor?, S. 31
17 - Après tout, Serge Daney in: La Politique des Auteurs, Serge Daney, Paris 1984, p. 9
Literaturliste
Michel Foucault, Schriften zur Literatur ,Frankfurt am Main 1993
Gérard Genette, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt am Main 1993
Serge Daney, La Politique des Auteurs, Paris 1984
John Caughie (Hrsg.), Theories of Authorship, London 1981
James Monaco, Film verstehen, Hamburg 1980
Ulrich Kurowski, Lexikon Film, München 1973
Siegfried Kracauer, Kino, Frankfurt am Main 1974
Die 100 des Jahrhunderts: Filmregisseure, rororo-Handbuch, Hamburg 1994
Lexikon des Internationalen Films, rororo-Handbuch (10 Bände), Hamburg 1990